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offen:projekte:klapsenchroniken:booklet

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 Natürlich beschloß ich gleich, mit in die Organisation des Kongresses einzusteigen. Wir fanden einen coolen Namen für den Kongress: "Move Utopia - für eine Welt nach Bedürfnissen und Fähigkeiten". Und um dem Motto auch gelich gerecht zu werden, kümmerte ich mich um den Aufgabenbereich, auf den ich am meisten Lust hatte: Ich war für das kulturelle Rahmenprogamm zuständig. Geil! Fünf Tage lang Auftritte organisieren, mit Künstlern abhängen und Musik machen. Und es sollte noch besser werden. Denn wir konnten den Kulturkosmos, also den Verein der das Fusion-Festival organisiert, davon überzeugen, dass der Kongress auf dem Fusion-Gelände stattfindet. Ein Traum - ich durfte meine eigene kleine Mini-Fusion organisieren!  Natürlich beschloß ich gleich, mit in die Organisation des Kongresses einzusteigen. Wir fanden einen coolen Namen für den Kongress: "Move Utopia - für eine Welt nach Bedürfnissen und Fähigkeiten". Und um dem Motto auch gelich gerecht zu werden, kümmerte ich mich um den Aufgabenbereich, auf den ich am meisten Lust hatte: Ich war für das kulturelle Rahmenprogamm zuständig. Geil! Fünf Tage lang Auftritte organisieren, mit Künstlern abhängen und Musik machen. Und es sollte noch besser werden. Denn wir konnten den Kulturkosmos, also den Verein der das Fusion-Festival organisiert, davon überzeugen, dass der Kongress auf dem Fusion-Gelände stattfindet. Ein Traum - ich durfte meine eigene kleine Mini-Fusion organisieren! 
  
-Euphorisiert warf ich mich in die neue Aufgabe, denn es war viel zu tun, und es machte einen riesigen Spaß. Es war so wunderschön endlich wieder von Seelen umgeben zu sein, die Hoffnung in sich trugen. Es gab mir die Gelegenheit für so viele tiefe, erfüllende und aufbauende Begegnungen und Gespräche. Und es half mir, einen Teil von mir wieder zu finden, vom dem ich dachte, er sei für immer verschwunden. Der Teil von mir, der bereit ist zu kämpfen für eine bessere Welt. Grund genug, diesen wundervollen Menschen ein Lied zu widmen. +Euphorisiert warf ich mich in die neue Aufgabe, denn es war viel zu tun, und es machte einen riesigen Spaß. Es war so wunderschön endlich wieder von Seelen umgeben zu sein, die Hoffnung in sich trugen. 
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 +Es gab mir die Gelegenheit für so viele tiefe, erfüllende und aufbauende Begegnungen und Gespräche.  
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 +Und es fühlte sich beinahe an wie 2006, als ich hier an der Uni gemeinsam mit so vielen leiben Menschen die Freie Uni Bochum gründete, eine Besetzung im Gebäude des heutigen Q-West, die über acht Monate aufrecht erhalten wurde um gegen Studiengebühren zu protestieren. 
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 +Der "Move Utopia"-Kongress half mir, einen Teil von mir wieder zu finden, vom dem ich dachte, er sei für immer verschwunden. Jener Teil von mir, der bereit ist zu kämpfen für eine bessere Welt. Grund genug, diesen wundervollen Menschen ein Lied zu widmen. 
  
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-Auf meiner Reise begegnete ich einem weiteren besonderen Menschen: Kay. Es war als begegnete man einer alten Freundin, die man noch nie zuvor gesehen hatte, als sich unsere Blicke zum ersten Mal trafen. Die Gespräche in den Zigarettenpausen zwischen den - meist sehr anstrengenden - Orga-Plena für unser gemeinsamen Kongress fühlten sich sofort so an, als hätten wir schon vieles gemeinsam erlebt, dabei kannten wir uns erst seit einem halben Tag.+Einer dieser wundervollen Menschen jedoch hat ein besonders intensiven Eindruck auf mich gemacht: Kay. 
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 +Es war als begegnete man einer alten Freundin, die man noch nie zuvor gesehen hatte, als sich unsere Blicke zum ersten Mal trafen. Die Gespräche in den Zigarettenpausen zwischen den - meist sehr anstrengenden - Orga-Plena für unser gemeinsamen Kongress fühlten sich sofort so an, als hätten wir schon vieles gemeinsam erlebt, dabei kannten wir uns erst seit einem halben Tag.
  
 Als wir am zweiten Abend gemeinsam spazieren gingen bekam ich eine Ahnung davon, woher dieses Gefühl rührte. Wie ich war Kay schon als Kind Opfer sexuellen Missbrauchs geworden. Wahrscheinlich war sie damals von ihrem Peiniger noch gemäß ihres "biologischen" Geschlechts als Junge wahrgenommen worden, und wir tauschten Erfahrungen darüber aus, wie schwer es auch und gerade als von der Gesellschaft als "männlich" wahrgenommener Mensch ist, über solche Erlebnisse offen zu sprechen, und darüber, wie sie einen fast zwangsläufig dazu bringen, traditionelle Rollenzuschreibungen in Frage zu stellen. Denn selbst in vermeintlich aufgeklärten Kreisen herrscht bezüglich sexueller Übergriffe beinahe Konsens: Männer sind Täter, Frauen sind Opfer. Was also machte dass aus uns, wenn wir offensichtlich keine Täter, sondern Opfer waren? Als wir am zweiten Abend gemeinsam spazieren gingen bekam ich eine Ahnung davon, woher dieses Gefühl rührte. Wie ich war Kay schon als Kind Opfer sexuellen Missbrauchs geworden. Wahrscheinlich war sie damals von ihrem Peiniger noch gemäß ihres "biologischen" Geschlechts als Junge wahrgenommen worden, und wir tauschten Erfahrungen darüber aus, wie schwer es auch und gerade als von der Gesellschaft als "männlich" wahrgenommener Mensch ist, über solche Erlebnisse offen zu sprechen, und darüber, wie sie einen fast zwangsläufig dazu bringen, traditionelle Rollenzuschreibungen in Frage zu stellen. Denn selbst in vermeintlich aufgeklärten Kreisen herrscht bezüglich sexueller Übergriffe beinahe Konsens: Männer sind Täter, Frauen sind Opfer. Was also machte dass aus uns, wenn wir offensichtlich keine Täter, sondern Opfer waren?
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 Ist mensch jetzt eigentlich "Bi", wenn sie oder er so für einen transsexuellen Menschen empfindet? Darüber habe ich einige Zeit nachgedacht, bis ich zu dem Entschluss kam, das solche Labels eigentlich nur solchen Menschen helfen, die andere gern in Schubladen stecken, um sie zu diskriminieren. Ich glaube, ich mag den Begriff "queer" lieber, denn er ist der Begriff, den "solche Menschen" für sich selbst gewählt haben, also, wenn ich schon gerade ein Seelenstriptease hinlege, kann ich den Teil ganz nebenbei auch noch erledigen: "Hi, meine Name ist Benni, und ich bin queer - auch wenn ich nicht so wirke." Ist mensch jetzt eigentlich "Bi", wenn sie oder er so für einen transsexuellen Menschen empfindet? Darüber habe ich einige Zeit nachgedacht, bis ich zu dem Entschluss kam, das solche Labels eigentlich nur solchen Menschen helfen, die andere gern in Schubladen stecken, um sie zu diskriminieren. Ich glaube, ich mag den Begriff "queer" lieber, denn er ist der Begriff, den "solche Menschen" für sich selbst gewählt haben, also, wenn ich schon gerade ein Seelenstriptease hinlege, kann ich den Teil ganz nebenbei auch noch erledigen: "Hi, meine Name ist Benni, und ich bin queer - auch wenn ich nicht so wirke."
  
-Doch ich schweife ab. In all den tiefen Gesprächen die wir hatten, erzählte mir Kay eine Sache, die mich besonders berührte. Sie gestand mir, dass sie jeden Abend mindestens vier Bier trinken musste, um einschlafen zu können und von grausamen Albträumen verschont zu bleiben. Sie sprach davon, wie sehr sie sich dafür schämte und dass sie sich fest vorgenommen hatte, endlich damit aufzuhören, um dann eine Traumatherapie zu beginnen.+Doch ich schweife ab. In all den tiefen Gesprächen die wir hatten, erzählte mir Kay eine Sache, die mich besonders berührte. Sie gestand mir, dass sie jeden Abend mindestens vier Bier trinken musste, um einschlafen zu können und von grausamen Albträumen verschont zu bleiben. Doch im Gegensatz zu meinem Mitbewohner hatte sie sich noch nicht aufgegeben. Sie sprach davon, wie sehr sie sich dafür schämte und dass sie sich fest vorgenommen hatte, endlich damit aufzuhören, um dann eine Traumatherapie zu beginnen.
  
 Es brach mir das Herz das ein Mensch mit so einer wunderschönen Seele - und so wunderschönen türkisblauen Augen - in seinem Leben schon so viel Leid ertragen musste, dass sie sich nicht anders zu helfen wusste, als sich tagtäglich zu betrinken. Und zugleich konnte ich es so gut nachvollziehen, denn ich selbst war - abgesehen von der relativ kurzen Unterbrechung in der Psychiatrie - in den vergangenen zwei Jahren wohl nicht eine Sekunde lang nüchtern gewesen, auch wenn meine Droge "nur" das Mariuhana war, das ich regelmäßig über den Tag verteilt rauchte, um zu "entspannen". Ich beschloss, Kay ein Lied zu schreiben. Es brach mir das Herz das ein Mensch mit so einer wunderschönen Seele - und so wunderschönen türkisblauen Augen - in seinem Leben schon so viel Leid ertragen musste, dass sie sich nicht anders zu helfen wusste, als sich tagtäglich zu betrinken. Und zugleich konnte ich es so gut nachvollziehen, denn ich selbst war - abgesehen von der relativ kurzen Unterbrechung in der Psychiatrie - in den vergangenen zwei Jahren wohl nicht eine Sekunde lang nüchtern gewesen, auch wenn meine Droge "nur" das Mariuhana war, das ich regelmäßig über den Tag verteilt rauchte, um zu "entspannen". Ich beschloss, Kay ein Lied zu schreiben.
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 ===== Kapitel 3: Das Jahr der Genesung. oder: Lernen zu Lieben, lernen zu leben ===== ===== Kapitel 3: Das Jahr der Genesung. oder: Lernen zu Lieben, lernen zu leben =====
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 +Der Kongress ging vorüber und war ein voller Erfolg. Über 1500 Menschen waren dort um sich auszutauschen, und ich hatte das große Vergnügen jeden Abend auf die ein oder andere Weise auf der Bühne zu stehen und Musik zu machen.
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 +Doch unmittelbar nach dem Kongress fiel ich abermals in ein tiefes seelisches Loch, denn noch immer hatte sich an der beschissenen Situation, in der ich lebte, nichts essenziell geändert.
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 +Dieses Mal hielt das beinahe sechs Monate an, bis ich einsah, dass ich einen Schritt wagen musste, vor dem ich bisher immer zurückgeschreckt war. Ich zog zurück zu meinen Eltern.
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 +Dass war mir so unfassbar peinlich: ein 35 jähriger Abiturient ohne Abschluss zieht wieder zu seinen Eltern. "Oh man", dachte ich, "ich bin so ein Versager!"
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 +Doch es hatte auch seine Vorteile. Ich ließ meine alte Clique hinter mir und verlor nach und nach den Kontakt zu jenen Menschen, die ohnehin längst beschlossen hatten, dass sie lieber mit meiner Ex-Freundin befreundet sind als mit mir. Stattdessen suchte ich den Kontakt zu alten Freunden aus meiner Heimatstadt, und wider erwarten empfingen sie mich mit offenen Armen, obwohl ich mich seit Jahren nicht bei ihnen gemeldet hatte. Mir wurde bewusst, dass das hier die Menschen waren, die die Bezeichnung "Freund" tatsächlich verdient hatten.
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 +Der Wechsel meines Lebensumfelds gab mir Mut und Kraft, endlich meinen Studienabschluss anzugehen. Ich besuchte nach Jahren wieder einen Unikurs, und es machte mir Spaß! So sehr sogar, dass ich die Professorin irgendwie so von mir überzeugt haben muss, dass sie mir eine Stelle als studentische Hilfskraft anbot. Ich nahm an, und alles lief prächtig - neben dem Job als Hiwi, legte ich noch im selben Semester meine beiden mündlichen Abschlussprüfungen ab, und mit der Empfehlung der Professorin bekam ich sogar die Zusage für einen Masterplatz in Tübingen, vorausgesetzt ich würde meine schriftliche Abschlussarbeit rechtzeitig bis zum Beginn des kommenden Wintersemesters abschließen.
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 +Doch - selbstverständlich - kam es anders. Denn als ich die Zusage aus Tübingen bekam, freute ich mich nicht etwa - nein, ich bekam eine Panikattacke, die in einem Zustand permanenter Angst mündete. Ich hatte Angst vor allem. Davor zu versagen, und nicht rechtzeitig fertig zu werden. Davor, allein in eine fremde Stadt zu ziehen. Und davor, was passieren würde, wenn ich dort dann das nächste Mal in ein Loch falle und mir das Leben nehmen will. Über drei Monate versteckte ich mich regelrecht in meinem Zimmer, ich telefonierte nicht, ich antwortete nicht auf WhatsApp-Nachrichten, ich traute mich nicht, mein Mailprogramm zu öffnen. 
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 +Doch das schlimmste war: die Flashbacks wurden wieder intensiver. Beinahe täglich war ich nun zurück in jenem Keller, in dem ich mit 17 unter Waffengewalt vergewaltigt worden war. Benahe täglich wurde ich zurückgeworfen, zurück in diese Hölle, und es gab nichts was ich dagegen tun konnte.
  
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 +==== Rape Culture ====
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 +Rape Culture, was ist das eigentlich?
  
 **Sie**  das bist **du**. **Du**  die mich - wie heute Nacht - noch immer in meinen Träumen besucht. Der Mensch den ein Teil von mir immer noch liebt und wahrscheinlihc immer lieben wird. Der mich manchmal dazu bringt, gleich nach dem Erwachen "ich vermisse dich" zu flüstern, weil er einfach nicht aufhören kann in meinen Träumen verzweifelt einen längst verlorenen Kampf um deine Liebe weiter zu kämpfen. **Sie**  das bist **du**. **Du**  die mich - wie heute Nacht - noch immer in meinen Träumen besucht. Der Mensch den ein Teil von mir immer noch liebt und wahrscheinlihc immer lieben wird. Der mich manchmal dazu bringt, gleich nach dem Erwachen "ich vermisse dich" zu flüstern, weil er einfach nicht aufhören kann in meinen Träumen verzweifelt einen längst verlorenen Kampf um deine Liebe weiter zu kämpfen.
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