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offen:projekte:klapsenchroniken:booklet

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offen:projekte:klapsenchroniken:booklet [2024/03/28 23:52]
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 ===== Kapitel 3: Das Jahr der Genesung. oder: Lernen zu Lieben, lernen zu leben ===== ===== Kapitel 3: Das Jahr der Genesung. oder: Lernen zu Lieben, lernen zu leben =====
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 +Der Kongress ging vorüber und war ein voller Erfolg. Über 1500 Menschen waren dort um sich auszutauschen, und ich hatte das große Vergnügen jeden Abend auf die ein oder andere Weise auf der Bühne zu stehen und Musik zu machen.
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 +Doch unmittelbar nach dem Kongress fiel ich abermals in ein tiefes seelisches Loch, denn noch immer hatte sich an der beschissenen Situation, in der ich lebte, nichts essenziell geändert.
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 +Dieses Mal hielt das beinahe sechs Monate an, bis ich einsah, dass ich einen Schritt wagen musste, vor dem ich bisher immer zurückgeschreckt war. Ich zog zurück zu meinen Eltern.
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 +Dass war mir so unfassbar peinlich: ein 35 jähriger Abiturient ohne Abschluss zieht wieder zu seinen Eltern. "Oh man", dachte ich, "ich bin so ein Versager!"
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 +Doch es hatte auch seine Vorteile. Ich ließ meine alte Clique hinter mir und verlor nach und nach den Kontakt zu jenen Menschen, die ohnehin längst beschlossen hatten, dass sie lieber mit meiner Ex-Freundin befreundet sind als mit mir. Stattdessen suchte ich den Kontakt zu alten Freunden aus meiner Heimatstadt, und wider erwarten empfingen sie mich mit offenen Armen, obwohl ich mich seit Jahren nicht bei ihnen gemeldet hatte. Mir wurde bewusst, dass das hier die Menschen waren, die die Bezeichnung "Freund" tatsächlich verdient hatten.
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 +Der Wechsel meines Lebensumfelds gab mir Mut und Kraft, endlich meinen Studienabschluss anzugehen. Ich besuchte nach Jahren wieder einen Unikurs, und es machte mir Spaß! So sehr sogar, dass ich die Professorin irgendwie so von mir überzeugt haben muss, dass sie mir eine Stelle als studentische Hilfskraft anbot. Ich nahm an, und alles lief prächtig - neben dem Job als Hiwi, legte ich noch im selben Semester meine beiden mündlichen Abschlussprüfungen ab, und mit der Empfehlung der Professorin bekam ich sogar die Zusage für einen Masterplatz in Tübingen, vorausgesetzt ich würde meine schriftliche Abschlussarbeit rechtzeitig bis zum Beginn des kommenden Wintersemesters abschließen.
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 +Doch - selbstverständlich - kam es anders. Denn als ich die Zusage aus Tübingen bekam, freute ich mich nicht etwa - nein, ich bekam eine Panikattacke, die in einem Zustand permanenter Angst mündete. Ich hatte Angst vor allem. Davor zu versagen, und nicht rechtzeitig fertig zu werden. Davor, allein in eine fremde Stadt zu ziehen. Und davor, was passieren würde, wenn ich dort dann das nächste Mal in ein Loch falle und mir das Leben nehmen will. Über drei Monate versteckte ich mich regelrecht in meinem Zimmer, ich telefonierte nicht, ich antwortete nicht auf WhatsApp-Nachrichten, ich traute mich nicht, mein Mailprogramm zu öffnen. 
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 +Doch das schlimmste war: die Flashbacks wurden wieder intensiver. Beinahe täglich war ich nun zurück in jenem Keller, in dem ich mit 17 unter Waffengewalt vergewaltigt worden war. Benahe täglich wurde ich zurückgeworfen, zurück in diese Hölle, und es gab nichts was ich dagegen tun konnte.
  
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 +==== Rape Culture ====
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 +Rape Culture, was ist das eigentlich? Rape Culture sind all jene Normen und Verhaltensweisen, die dazu beitragen, sexualisierte Gewalt zu legitimieren oder zu relativieren.
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 +Rape Culture dass sind Sprüche wie Donald Trumps berüchtigtes "you have to grab them by the pussy". Das ist wenn man in der Disco oder auf einer Party wegschaut wenn jemand, der zu betrunken ist um sich dagegen zu wehren, angegrapscht oder auf andere Weise bedrängt wird.
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 +Das sind Normen wie "du bist selbst schuld wenn du so enge Klamotten trägst oder so viel Haut zeigst". Das sind aber auch so Sprüche wie "Männer können immer und wollen immer" oder "Männer wollen sowieso immer nur das eine".
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 +Rape Culture sind auch Sprüche wie "bist du schwul oder was?", wenn ein Mann nicht auf die Offerten einer Frau eingeht. Es sind Frauen, die sich vor anderen über die Penislänge ihrer Affäre lustig machen, und Männer, die damit prahlen wenn sie mit jemandem geschlafen haben und das Gerücht verbreiten "die macht's mit jedem" - oder, wenn er abgeblitzt ist "die ist doch verklemmt und frigide".
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 +Teil dieser Kultur sind sowohl diejenigen, die auf dem Weg zur Party verkünden "ich mache heute X betrunken, um sie bzw. ihn mit nach Hause zu nehmen", als auch diejenigen, die das hören und dazu schweigen, anstatt klar und deutlich zu sagen, dass dies die Ankündigung einer Vergewaltigung ist zu einer Anzeige führen wird.
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 +Das sind Frauen, die von "echten Männern" erwarten dass sie sich "nehmen was sie wollen", und Männer, die von "guten Frauen" erwarten dass sie immer hübsch zurecht gemacht sind und sich devot dem Mann unterordnen.
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 +Rape Culture, dass ist aber auch, wenn wir z.B. hemosexuelle oder Transmenschen als "kein echter Mann" oder "keine echte Frau" bezeichnen, weil sie nicht unserem gewohntem Bild von "Frau" und "Mann" entsprechen. Denn wir setzen  dadurch die Hemmschwelle für potentielle Täter*innen herab, weil wir sie dadurch abwerten und ihnen ihre "Vollwertigkeit" absprechen. Wir machen sie dadurch zu vermeintlich leichteren Opfern, weil sie ja "wertloser" sind als "echte" Männer bzw. Frauen.
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 +Rape culture erzeugen wir dementsprechend alle, egal welches Geschlecht wir haben, wenn wir erst dann sexualisierte Gewalt erkennen und verurteilen, wenn sie mit körperlicher Gewalt einhergeht. 
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 +Wir müssen anfangen, klare Grenzen zu ziehen, dass jede Form von Druck, der ausgeübt wird, um sexuelle Handlungen zu erzwingen, sei sie körperlich oder verbal, absolut inakzeptabel ist. 
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 +Das bedeutet auch, dass wir erkennen müssen, dass sexuelle Gewalt in unserer Gesellschaft ebenso von Frauen wie von Männern ausgehen kann, und dass beides gleichwertig falsch ist, und nicht etwa bei Frauen als Täterinnen ein Zeichen von "berechtigter sexueller Emanzipation". Erst wenn wir begreifen, das die rape culture in diesem Land etwas ist, das wir alle gemeinsam erzeugen, können wir anfangen, sie auch gemeinsam wirksam zu bekämpfen.
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 **Sie**  das bist **du**. **Du**  die mich - wie heute Nacht - noch immer in meinen Träumen besucht. Der Mensch den ein Teil von mir immer noch liebt und wahrscheinlihc immer lieben wird. Der mich manchmal dazu bringt, gleich nach dem Erwachen "ich vermisse dich" zu flüstern, weil er einfach nicht aufhören kann in meinen Träumen verzweifelt einen längst verlorenen Kampf um deine Liebe weiter zu kämpfen. **Sie**  das bist **du**. **Du**  die mich - wie heute Nacht - noch immer in meinen Träumen besucht. Der Mensch den ein Teil von mir immer noch liebt und wahrscheinlihc immer lieben wird. Der mich manchmal dazu bringt, gleich nach dem Erwachen "ich vermisse dich" zu flüstern, weil er einfach nicht aufhören kann in meinen Träumen verzweifelt einen längst verlorenen Kampf um deine Liebe weiter zu kämpfen.
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-===== Epilog: Nicht das Ende, der Anfang einer Reise \\ =====+===== Epilog: Nicht das Ende, der Anfang einer Reise  ===== 
 +Heute ist es fast genau ein Jahr her, seit ich endlich beschlossen habe, meine traumatischen Erlebnisse mit professioneller Unterstützung zu verarbeiten. Ich habe in diesem Sommer mehr als dreieinhalb Monate in der Psychiatrie verbracht, und glaubt mir, das war ein sehr harter und steiniger Weg. Ich hätte ihn wohl nicht durchgehalten ohne die Freundschaft, die Liebe und die Unterstützung durch meine Eltern und meine Freunde, und es fällt mir schwer, Worte zu finden, die ausdrücken könnten wie dankbar ich dafür bin. 
  
 +Ich habe großes Glück, so viele Menschen in meinem Leben zu haben, denen ich wichtig genug bin, dass sie all die traurigen und düsteren Gedanken und Geschichten und all die Irrationalitäten ertragen haben, mit denen ich sie in all der Zeit belastet habe. 
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 +Auch wenn es mir heute schon um Lichtjahre besser geht, als noch vor einem Jahr, weiß ich, dass ich doch erst am Anfang der Reise stehe. Es macht mich froh, dass ich auf dem Weg nicht nur erkannt habe, dass da viele alte Freunde sind, auf die ich mich hunderprozentig verlassen kann, sondern auch neue Freunde gewonnen habe, von denen ich hoffe, dass sie mir noch lange erhalten bleiben. 
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 +Einer dieser Freundinnen habe ich dieses Lied geschrieben, un zwar lange, bevor ich sie überhaupt kennengelernt habe. Ich wusste damals nicht, für wen ich es geschrieben habe, nur, dass sie irgendwo da draußen ist. Doch als ich ihr dieses Lied zum ersten Mal vorgesungen habe, wusste ich, dass ich es für sie geschrieben habe.
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 +So, ich hoffe euch hat das Programm gefallen und ihr konntet mir trotz mancher Bandwurmsätze und wirrer Gedankensprünge folgen. Wenn ihr noch Fragen oder Gesprächsbedarf zu irgendeinem Thema habt, wird es dazu nach dem nächsten Lied noch Gelegenheit geben. Wenn ihr lieber unter vier Augen mit mir in Kontakt kommen wollt, z.B. weil ihr wissen möchtet, wie man eigentlich an so eine Traumatherapie kommt, oder einfach jemandem sucht, mit dem ihr mal über eure eigenen traumatischen Erlebnisse reden könnt, sprecht mich einfach nach der Veranstaltung an oder besucht freie-uni.org. Dort gibt es auch eine Kontakt-Mail-Adresse unter der ihr mich erreichen könnt und Infos wo man professionelle Hilfe bekommt. An der Theke gibt es Broschüren zum Thema konsensuale Liebe und Sexualität, falls ihr Anregungen möchtet wie man Kommunikation beim Sex so gestalten kann, dass es dabei nicht zu Grenzüberschreitungen kommt.
  
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