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offen:projekte:klapsenchroniken:booklet

Unterschiede

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offen:projekte:klapsenchroniken:booklet [2022/07/02 02:44]
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offen:projekte:klapsenchroniken:booklet [2024/04/19 22:51]
47.128.98.190 alte Version wiederhergestellt (2023/12/02 11:43)
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 Nie zuvor hatte ich solch ein trauriges Lied geschrieben. Und dennoch - irgendwie half es mir, mit meiner tottraurigen Stimmungslage besser zurecht zu kommen. Nie zuvor hatte ich solch ein trauriges Lied geschrieben. Und dennoch - irgendwie half es mir, mit meiner tottraurigen Stimmungslage besser zurecht zu kommen.
  
-Es warals ließe ich mit jedem Ton ein klein wenig der dunklen Wolke entweichen, die mich so bleiernd niederdrückte.+Es war als ließe ich mit jedem Ton ein klein wenig der dunklen Wolke entweichen, die mich so bleiernd niederdrückte.
  
-Drei Tage später kam mich Matthias besuchen, einer der der wenigen Freunde, die mir noch geblieben waren. Wir spazierten durch den Garten, und ich hatte meine Gitarre mitgenommen. Wir setzten uns auf eine Bank im hinteren Teil des Gartens und ich klimperte vor mich hin. Nur sehr zögerlich konnte ich mich überwinden ihn zu fragen, ob er mein Lied hören wollte.+Drei Tage später kam mich Matthias besuchen, einer der der wenigen Freunde, die mir noch geblieben waren. Wir spazierten durch den Garten, und ich hatte meine Gitarre mitgenommen. Wir setzten uns auf eine Bank im hinteren Teil des Gartens und ich klimmperte vor mich hin. Nur sehr zögerlich konnte ich mich überwinden ihn zu fragen, ob er mein Lied hören wollte.
  
 Nie zuvor hatte ich jemand anderem eines meiner Lieder vorgespielt. Ich schämte mich für meine Stimme und mein viel zu schlechtes Gitarrenspiel. Und erst recht schämte ich mich für meine simple Lyrik. Als er einwilligte, zuzuhören, schlug mir mein Herz bis zum Hals. Nie zuvor hatte ich jemand anderem eines meiner Lieder vorgespielt. Ich schämte mich für meine Stimme und mein viel zu schlechtes Gitarrenspiel. Und erst recht schämte ich mich für meine simple Lyrik. Als er einwilligte, zuzuhören, schlug mir mein Herz bis zum Hals.
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 Es machte mich unendlich traurig, diesem Menschen, den ich einst als einen meiner besten Freunde bezeichnet hätte, dabei zuzuschauen, wie er langsam an sich selbst zu Grunde ging. Es machte mich unendlich traurig, diesem Menschen, den ich einst als einen meiner besten Freunde bezeichnet hätte, dabei zuzuschauen, wie er langsam an sich selbst zu Grunde ging.
  
-Auch der Rest meiner WG war mir nur selten eine Stütze. Ich war mehr als enttäuscht darüber, dass sie mit meiner Ex-Freundin so umgingen, als wäre nie etwas passiert. Dass sie es als vollkommen normal und selbstverständlich ansahen, dass sie - jetzt, wo wir nicht mehr zusammen waren - so ziemlich mit jedem aus der Clique flirtete und rummachte. Ich nahm es ihnen übel, dass sie auf ihre Einladungen zu Parties, Weihnachtsfeiern etc. eingingen, ohne auch nur ein einziges Wort dazu zu sagen, dass es mindestens Mal äußerst rücksichtslos war, wie sie sich verhielt. Das es ihnen egal zu sein schien, dass ich an all den Aktivitäten unseres ehemals gemeinsamen Freundeskreises nicht mehr teilnehmen konnte, weil ich das aus meiner Sicht übergriffiges Verhalten  meiner Ex-Freundin nicht mehr ertragen konnte - und sie seit wir getrennt waren auch sehr großen Wert darauf legte, auch möglichst überall dabei zu sein.+Auch der Rest meiner WG war mir nur selten eine Stütze. Ich war mehr als enttäuscht darüber, dass sie mit meiner Ex-Freundin so umgingen, als wäre nie etwas passiert. Dass sie es als vollkommen normal und selbstverständlich ansahen, dass sie - jetzt, wo wir nicht mehr zusammen waren - so ziemlich mit jedem aus der Clique flirtete und rummachte. Ich nahm es ihnen übel, dass sie auf ihre Einladungen zu Parties, Weihnachtsfeiern etc. eingingen, ohne auch nur ein einziges Wort dazu zu sagen, dass es mindestens Mal äußerst rücksichtslos war, wie sie sich verhielt. Das es ihnen egal zu sein schien, dass ich an all den Aktivitäten unseres ehemals gemeinsamen Freundeskreises nicht mehr teilnehmen konnte, weil ich ihr aus meiner Sicht übergriffiges Verhalten nicht ertragen konnte - und sie seit wir getrennt waren auch sehr großen Wert darauf legte, auch möglichst überall dabei zu sein.
  
-Sehr bald schloß ich mich nur noch in mein Zimmer ein und verließ es nur , um einkaufen zu gehen oder im Park um die Ecke Joints zu rauchen. Ich war nicht besser als mein alkoholsüchtiger Freund nebenan: Das erste was ich nach dem wachwerden tat, und das letzte, was ich tat, bevor ich schlafen ging, war zu kiffen. Ich war durchgängig high zu dieser Zeit, weil ich dachte, dass es mir hilft, meine Einsamkeit, meine Wut und meine Trauer besser zu ertragen. +Sehr bald schloß ich mich nur noch in mein Zimmer ein und verließ es nur noch, um einkaufen zu gehen oder im Park um die Ecke Joints zu rauchen. Ich war nicht besser als mein alkoholsüchtiger Freund nebenan: Das erste was ich nach dem wachwerden tat, und das letzte, was ich tat, bevor ich schlafen ging, war zu kiffen. Ich war durchgängig high zu dieser Zeit, weil ich dachte, dass es mir hilft, meine Einsamkeit, meine Wut und meine Trauer besser zu ertragen. 
  
 Mein Zimmer war widerlich dreckig und stank, weil ich mich nicht aufraffen konnte zu putzen. Die Matratze, auf der ich den Großteil meines Tages verbrachte, lag ohne Gestell oder Lattenrost auf dem dreckigen und klebrigen Boden und schimmelte von unten durch. Dass alles war mir jedoch egal - ich war gefangen in meiner eigenen Welt, und die war jetzt wieder dunkel und düster und ohne Hoffnung. Mit einem großen Maß an Selbstverachtung schrieb ich über meinen Lebenswandel dieses Lied. Mein Zimmer war widerlich dreckig und stank, weil ich mich nicht aufraffen konnte zu putzen. Die Matratze, auf der ich den Großteil meines Tages verbrachte, lag ohne Gestell oder Lattenrost auf dem dreckigen und klebrigen Boden und schimmelte von unten durch. Dass alles war mir jedoch egal - ich war gefangen in meiner eigenen Welt, und die war jetzt wieder dunkel und düster und ohne Hoffnung. Mit einem großen Maß an Selbstverachtung schrieb ich über meinen Lebenswandel dieses Lied.
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-Einer dieser tollen Menschen jedoch hat ein besonders intensiven Eindruck auf mich gemacht: Kay.+Einer dieser wundervollen Menschen jedoch hat ein besonders intensiven Eindruck auf mich gemacht: Kay.
  
-Es warals begegnete man einer alten Freundin, die man noch nie zuvor gesehen hatte, als sich unsere Blicke zum ersten Mal trafen. Die Gespräche in den Zigarettenpausen zwischen den - meist sehr anstrengenden - Orga-Plena für unseren gemeinsamen Kongress fühlten sich sofort so an, als hätten wir schon vieles gemeinsam erlebt, dabei kannten wir uns erst seit einem halben Tag.+Es war als begegnete man einer alten Freundin, die man noch nie zuvor gesehen hatte, als sich unsere Blicke zum ersten Mal trafen. Die Gespräche in den Zigarettenpausen zwischen den - meist sehr anstrengenden - Orga-Plena für unseren gemeinsamen Kongress fühlten sich sofort so an, als hätten wir schon vieles gemeinsam erlebt, dabei kannten wir uns erst seit einem halben Tag.
  
 Als wir am zweiten Abend gemeinsam spazieren gingen, bekam ich eine Ahnung davon, woher dieses Gefühl rührte. Wie ich war Kay schon als Kind Opfer sexuellen Missbrauchs geworden. Wahrscheinlich war sie damals von ihrem Peiniger noch gemäß ihres "biologischen" Geschlechts als Junge wahrgenommen worden, und wir tauschten Erfahrungen darüber aus, wie schwer es auch und gerade als von der Gesellschaft als "männlich" wahrgenommener Mensch ist, über solche Erlebnisse offen zu sprechen, und darüber, wie sie einen fast zwangsläufig dazu bringen, traditionelle Rollenzuschreibungen in Frage zu stellen. Denn selbst in vermeintlich aufgeklärten Kreisen herrscht bezüglich sexueller Übergriffe beinahe Konsens: Männer sind Täter, Frauen sind Opfer. Was also machte dass aus uns, wenn wir offensichtlich keine Täter, sondern Opfer waren? Als wir am zweiten Abend gemeinsam spazieren gingen, bekam ich eine Ahnung davon, woher dieses Gefühl rührte. Wie ich war Kay schon als Kind Opfer sexuellen Missbrauchs geworden. Wahrscheinlich war sie damals von ihrem Peiniger noch gemäß ihres "biologischen" Geschlechts als Junge wahrgenommen worden, und wir tauschten Erfahrungen darüber aus, wie schwer es auch und gerade als von der Gesellschaft als "männlich" wahrgenommener Mensch ist, über solche Erlebnisse offen zu sprechen, und darüber, wie sie einen fast zwangsläufig dazu bringen, traditionelle Rollenzuschreibungen in Frage zu stellen. Denn selbst in vermeintlich aufgeklärten Kreisen herrscht bezüglich sexueller Übergriffe beinahe Konsens: Männer sind Täter, Frauen sind Opfer. Was also machte dass aus uns, wenn wir offensichtlich keine Täter, sondern Opfer waren?
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 Rape culture erzeugen wir dementsprechend alle, egal welches Geschlecht wir haben, wenn wir erst dann sexualisierte Gewalt erkennen und verurteilen, wenn sie mit körperlicher Gewalt einhergeht.  Rape culture erzeugen wir dementsprechend alle, egal welches Geschlecht wir haben, wenn wir erst dann sexualisierte Gewalt erkennen und verurteilen, wenn sie mit körperlicher Gewalt einhergeht. 
  
-Wir müssen anfangen, klare Grenzen zu ziehen, dass jede Form von Druck, die ausgeübt wird, um sexuelle Handlungen zu erzwingen, sei sie körperlich oder verbal, absolut inakzeptabel ist und massive Konsequenzen für den oder die Täter*in haben wird - strafrechtlich und sozial+Wir müssen anfangen, klare Grenzen zu ziehen, dass jede Form von Druck, der ausgeübt wird, um sexuelle Handlungen zu erzwingen, sei sie körperlich oder verbal, absolut inakzeptabel ist. 
  
 Das bedeutet auch, dass wir erkennen müssen, dass sexuelle Gewalt in unserer Gesellschaft ebenso von Frauen wie von Männern ausgehen kann, und dass beides gleichwertig falsch ist, und nicht etwa bei Frauen als Täterinnen ein Zeichen von "berechtigter sexueller Emanzipation". Erst wenn wir begreifen, das die rape culture in diesem Land etwas ist, das wir alle gemeinsam erzeugen, können wir anfangen, sie auch gemeinsam wirksam zu bekämpfen. Das bedeutet auch, dass wir erkennen müssen, dass sexuelle Gewalt in unserer Gesellschaft ebenso von Frauen wie von Männern ausgehen kann, und dass beides gleichwertig falsch ist, und nicht etwa bei Frauen als Täterinnen ein Zeichen von "berechtigter sexueller Emanzipation". Erst wenn wir begreifen, das die rape culture in diesem Land etwas ist, das wir alle gemeinsam erzeugen, können wir anfangen, sie auch gemeinsam wirksam zu bekämpfen.
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 Das, was **du**  und die anderen mir angetan haben, weil ihr eure Lust daran, anderen wehzutun, mit Leidenschaft oder gar Liebe verwechseltet, kann ich euch nicht verzeihen. Das, was **du**  und die anderen mir angetan haben, weil ihr eure Lust daran, anderen wehzutun, mit Leidenschaft oder gar Liebe verwechseltet, kann ich euch nicht verzeihen.
  
-Die Erinnerungen daran werde ich in mir tragen müssen, mein Leben lang. Und es wird noch einer langer Weg sein, bis ich zumindest mir selbst verzeihen kann, dass ich zuließ, dass ihr mich dafür benutzt habt. Dass ich mich nicht früher und entschiedener dagegen gewehrt habe.+Die Erinnerungen daran werde ich in mir tragen müssen, mein Leben lang. Und es wird noch einer langer Weg sein, bis ich zumindest mir selbst verzeihen kann, dass ich zuließ, dass ihr mich dafür benutzt. Dass ich mich nicht früher und entschiedener dagegen gewehrt habe.
  
 Und dennoch kann und will ich dich nicht hassen. Ich wünsche dir und mir von ganzem Herzen, dass wir beide es eines Tages schaffen, das Loch in unserer Seele zu füllen und uns selbst zu lieben - damit wir dazu fähig werden, andere zu lieben, ohne sie mit unserer Liebe zu verbrennen. Und dennoch kann und will ich dich nicht hassen. Ich wünsche dir und mir von ganzem Herzen, dass wir beide es eines Tages schaffen, das Loch in unserer Seele zu füllen und uns selbst zu lieben - damit wir dazu fähig werden, andere zu lieben, ohne sie mit unserer Liebe zu verbrennen.
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 Auch wenn es mir heute schon um Lichtjahre besser geht, als noch vor einem Jahr, weiß ich, dass ich doch erst am Anfang der Reise stehe. Es macht mich froh, dass ich auf dem Weg nicht nur erkannt habe, dass da viele alte Freunde sind, auf die ich mich hunderprozentig verlassen kann, sondern auch neue Freunde gewonnen habe, von denen ich hoffe, dass sie mir noch lange erhalten bleiben.  Auch wenn es mir heute schon um Lichtjahre besser geht, als noch vor einem Jahr, weiß ich, dass ich doch erst am Anfang der Reise stehe. Es macht mich froh, dass ich auf dem Weg nicht nur erkannt habe, dass da viele alte Freunde sind, auf die ich mich hunderprozentig verlassen kann, sondern auch neue Freunde gewonnen habe, von denen ich hoffe, dass sie mir noch lange erhalten bleiben. 
  
-Einer dieser Freundinnen habe ich dieses Lied geschrieben, und zwar lange, bevor ich sie überhaupt kennengelernt habe. Ich wusste damals nicht, für wen ich es geschrieben habe, nur, dass sie irgendwo da draußen ist. Doch als ich ihr dieses Lied zum ersten Mal vorgesungen habe, wusste ich, dass ich es für sie geschrieben habe.+Einer dieser Freundinnen habe ich dieses Lied geschrieben, un zwar lange, bevor ich sie überhaupt kennengelernt habe. Ich wusste damals nicht, für wen ich es geschrieben habe, nur, dass sie irgendwo da draußen ist. Doch als ich ihr dieses Lied zum ersten Mal vorgesungen habe, wusste ich, dass ich es für sie geschrieben habe.
    
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