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====== Die Klapsenchroniken ====== | ====== Die Klapsenchroniken ====== | ||
- | ===== Eine Reise in den Wahnsinn und zurück oder: (k)ein Versuch eines Helden ===== | ||
+ | **Eine Reise in den Wahnsinn und zurück. ** | ||
- | Tag X ist jetzt zwei Wochen her. Tag X war der Tag an dem ich mir nach 10 Jahren Ruhe vor diesem Dämon wieder die Arme aufgeritzt habe. | + | **oder: (k)ein Versuch eines Helden ** |
+ | ===== Kapitel 1: jede Reise beginnt am tiefsten Punkt ===== | ||
- | der Schmerz unterbrach das Gedankenkarussel aus düsteren erinngerungen, | + | Tag X ist jetzt zwei Wochen her. Tag X war der Tag an dem ich mir nach 10 Jahren Ruhe vor diesem Dämon wieder die Arme aufgeritzt habe. |
- | Acht Stunden später bezog ich mein neues Bett. Raus durfte ich nur noch in Begleitung eines Freundes. Das Problem war nur: davon gab es nicht mehr viele, jetzt, wo SIE beschlossen hatte, sich einmal quer durch den ehemals gemeinsamen Freundeskreis | + | der Schmerz unterbrach das Gedankenkarussel aus düsteren Erinnerungen, Ekel, Selbsthass und Selbstmordgedanken gerade eben so lange, dass ich fähig war zum sozialpsychiatrischen Dienst |
- | Also ging ich nur sehr selten raus. Doch ehrlich gesagt zog mich auch nicht nach draußen. Trotz des warmen, hellen Sommers war für mich die Welt trostlos, grau und kalt. Da war ncihts mehr, das mir Hoffnung gab, kein Ziel,das meinem Leben einen Sinn gab. Ich war gefangen | + | Acht Stunden später bezog ich mein neues Bett. Raus durfte |
- | 14 Tage saß ich nun schon hier in dieser Klapse. Und wenn ich nucht gerade Sport mitmachen musste, oder malen, oder mit den anderen Bekloppten im Kreis sitzen um sich gegenseitig zu erzählen, wie scheiße es einem geht, dann rauchte ich, Und wenn ich nicht rauchte, dann weinte ich. Und wenn ich nicht weinte, dann dachte ich immer und immer wieder: Ich will sterben | + | |
- | - und konnte deswegen nciht einschlafen. | + | Also ging ich nur sehr selten raus. Doch ehrlich gesagt zog mich auch nichts nach draußen. Trotz des warmen, hellen Sommers war für mich die Welt trostlos, grau und kalt. Da war nichts mehr, das mir Hoffnung gab, kein Ziel,das meinem Leben einen Sinn gab. Ich war gefangen in einer grauen, dumpfen Wolke, die mir jeden Lebenswillen entzog. Alles woran ich denken konnte war: **Ich will sterben**. |
+ | 14 Tage saß ich nun schon hier in dieser Klapse. Und wenn ich nicht gerade Sport mitmachen musste, oder malen, oder mit den anderen Bekloppten im Kreis sitzen um sich gegenseitig zu erzählen, wie scheiße es einem geht, dann rauchte ich. Und wenn ich nicht rauchte, dann weinte ich. Und wenn ich nicht weinte, dann dachte ich immer und immer wieder: **Ich will sterben**. | ||
- | In den folgenen Tagen spielte ich dieses Lied, wann immer es der verblüffend vollgestopfte Zeitplan der Psychiatrie es mir erlaubte. Ich sang es allein für mich im Garten der Psychiatrie ( ich durte mittlerweile wieder alleine raus, weil ich sehr überzeugend log, dass das mit den Selbstmordgedanken dank der vielen Aktivitäten schon viel besser geworden sei). Ich achtete peinlich genau darauf, dass niemand in der Nähe war und mich hören konnte, wenn ich es sang und ich sang es sehr leise und meist mit tränenerstickter Stimme. | + | - und konnte deswegen nicht einschlafen. Also nahm ich einen Stift und schrieb dieses Lied: |
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+ | In den folgenen Tagen spielte ich dieses Lied, wann immer es der verblüffend vollgestopfte Zeitplan der Psychiatrie es mir erlaubte. Ich sang es allein für mich im Garten der Psychiatrie ( ich durte mittlerweile wieder alleine raus, weil ich sehr überzeugend log, dass das mit den Selbstmordgedanken dank der vielen Aktivitäten schon viel besser geworden sei). | ||
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+ | Ich achtete peinlich genau darauf, dass niemand in der Nähe war und mich hören konnte, wenn ich es sang und ich sang es sehr leise und meist mit tränenerstickter Stimme. | ||
Nie zuvor hatte ich solch ein trauriges Lied geschrieben. Und dennoch - irgendwie half es mir, mit meiner tottraurigen Stimmungslage besser zurecht zu kommen. | Nie zuvor hatte ich solch ein trauriges Lied geschrieben. Und dennoch - irgendwie half es mir, mit meiner tottraurigen Stimmungslage besser zurecht zu kommen. | ||
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Es war als ließe ich mit jedem Ton ein klein wenig der dunklen Wolke entweichen, die mich so bleiernd niederdrückte. | Es war als ließe ich mit jedem Ton ein klein wenig der dunklen Wolke entweichen, die mich so bleiernd niederdrückte. | ||
- | Drei Tage später kam mich Matthias besuchen, einder der wenigen Freunde, die mir noch geblieben waren. Wir spazierten durch den Garten, und ich hatte meine Gitarre mitgenommen. Wir setzten uns auf eine Bank im hinteren Teil des Gartens und ich klimmperte vor mich hin. Nur sehr zögerlich konnte ich mich überwinden ihn zu fragen, ob er mein Leid hören wollte. | + | Drei Tage später kam mich Matthias besuchen, einder der wenigen Freunde, die mir noch geblieben waren. Wir spazierten durch den Garten, und ich hatte meine Gitarre mitgenommen. Wir setzten uns auf eine Bank im hinteren Teil des Gartens und ich klimmperte vor mich hin. Nur sehr zögerlich konnte ich mich überwinden ihn zu fragen, ob er mein Lied hören wollte. |
- | Nie zuvor hatte ich jemand anderem eines meiner Lieder vorgespielt. Ich schämte mich für meine Stimme und mein viel zu schlechtes Gitarrenspiel. | + | Nie zuvor hatte ich jemand anderem eines meiner Lieder vorgespielt. Ich schämte mich für meine Stimme und mein viel zu schlechtes Gitarrenspiel. |
- | ich verspielte mich ständig, meine Stimme versagte, und mehr als einmal musste ich pausieren. weil ich in Tränen ausbrach und den Text nicht mehr lesen konnte. | + | Ich verspielte mich ständig, meine Stimme versagte, und mehr als einmal musste ich pausieren, weil ich in Tränen ausbrach und den Text nicht mehr lesen konnte. |
- | Als ich endlich fertig war, nahmer | + | Als ich endlich fertig war, nahm er mich in den Arm und behauptete, dass es ihm gefiel. Ich glaubte ihm kein Wort - wie sollte man einen Song der so traurig und düster war denn bitte " |
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- | Nach einigem | + | Nach einigem |
- | Auch mit diesem Lied ging ich ein paar Tage schwanger. Ich änderte immer wieder den Rhytmus, die Akkordfolge, | + | < |
- | Als ich meine Augen mit einem erleichterten Lächeln | + | * [[: |
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+ | Auch mit diesem Lied ging ich ein paar Tage schwanger. Ich änderte immer wieder den Rhytmus, die Akkordfolge, | ||
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+ | Als ich meine Augen mit einem erleichterten Lächeln | ||
Mit einer abwinkendnen Handbewegung wischte ich das Kompliment fort. | Mit einer abwinkendnen Handbewegung wischte ich das Kompliment fort. | ||
- | "Ja genau, total" sagte ich und lenkte das Gespräch sofort auf ein anderes Thema, um davon abzulenken, dass ich rot wurde. | + | "Ja genau, total" sagte ich und lenkte das Gespräch sofort auf ein anderes Thema, um davon abzulenken, dass ich rot wurde. |
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+ | Doch der Satz ließ mich nicht los. "Ich - ein Künstler?! So ein Quatsch!" | ||
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+ | Ich klammerte mich an dieses Gefühl wie ein Ertrinkender auf hoher See an ein Stück Treibholz. Ich verliebte mich in die Vorstellung durch die Innenstädte des Landes zu ziehen und den Menschen vorzusingen, | ||
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+ | Zugleich wich die Trauer und die Verzweiflung darüber, dass **sie** | ||
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+ | Beides - diese Wut, gepaart mit dem Wunsch nach Flucht, Aufbruch und Neuanfang - verarbeitete ich in meinem nächsten Song mit dem passenden Namen "Na und?" | ||
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+ | ===== Kapitel 2: Aufbruch und Ausbruch ===== | ||
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+ | Auf meiner Reise begegnete ich einem weiteren besonderen Menschen: Kay. Es war als begegnete man einer alten Freundin, die man noch nie zuvor gesehen hatte, als sich unsere Blicke zum ersten Mal trafen. Die Gespräche in den Zigarettenpausen zwischen den - meist sehr anstrengenden - Orga-Plena für unser gemeinsamen Kongress fühlten sich sofort so an, als hätten wir schon vieles gemeinsam erlebt, dabei kannten wir uns erst seit einem halben Tag. | ||
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+ | Als wir am zweiten Abend gemeinsam spazieren gingen bekam ich eine Ahnung davon, woher dieses Gefühl rührte. Wie ich war Kay schon als Kind Opfer sexuellen Missbrauchs geworden. Wahrscheinlich war sie damals von ihrem Peiniger noch gemäß ihres " | ||
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+ | Zumindest waren wir uns einig, dass wir dieser Rollenbeschreibung von " | ||
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+ | Dennoch brachte sie mich dazu, meine eigene sexuelle Identität grundsätzlicher in Frage zu stellen. Doch das lag nicht allein daran, das wir so befreiend offene Gespräche darüber führen konnten. Vielmehr bemerkte ich nach einigen Wochen, in denen wir uns zumindest an einem Wochenende im Monat trafen, dass da noch mehr war - ich hatte mich in sie verliebt. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich in einen Menschen verliebt hatte, dem seine primären Geschlechtsmerkmale in unserer Gesellschaft meist zu der Bezeichnung " | ||
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+ | Ist mensch jetzt eigentlich " | ||
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+ | Doch ich schweife ab. In all den tiefen Gesprächen die wir hatten, erzählte mir Kay eine Sache, die mich besonders berührte. Sie gestand mir, dass sie jeden Abend mindestens vier Bier trinken musste, um einschlafen zu können und von grausamen Albträumen verschont zu bleiben. Sie sprach davon, wie sehr sie sich dafür schämte und dass sie sich fest vorgenommen hatte, endlich damit aufzuhören, | ||
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+ | Es brach mir das Herz das ein Mensch mit so einer wunderschönen Seele - und so wunderschönen türkisblauen Augen - in seinem Leben schon so viel Leid ertragen musste, dass sie sich nicht anders zu helfen wusste, als sich tagtäglich zu betrinken. Und zugleich konnte ich es so gut nachvollziehen, | ||
+ | Ich beschloss, Kay ein Lied zu schreiben. | ||
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+ | ===== Kapitel 3: Lernen zu Lieben ===== | ||
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+ | **Sie** das bist **du**. **Du** die mich - wie heute Nacht - noch immer in meinen Träumen besucht. Der Mensch den ein Teil von mir immer noch liebt und wahrscheinlihc immer lieben wird. Der mich manchmal dazu bringt, gleich nach dem Erwachen "ich vermisse dich" zu flüstern, weil er einfach nicht aufhören kann in meinen Träumen verzweifelt einen längst verlorenen Kampf um deine Liebe weiter zu kämpfen. | ||
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+ | Dieser Teil von mir gaukelt mir in meinen Träumen vor, wir wären noch zusammen, und dass es sich lohnt, all die Erniedrigungen, | ||
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+ | Denn auch das bist **du**: eine der zu vielen Täter*innen in meinem Leben, die es genossen, mich leiden zu sehen. Einer der Menschen, | ||
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+ | **Du** bist einer der Gründe, warum ich mittlerweiler vier Jahre Psychotherapie hinter mir habe und heute wieder in einem Bett in der Psychiatrie erwacht bin. **Du** und die anderen Täter*innen | ||
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+ | Das, was **du** und die anderen mir angetan haben, weil ihr eure Lust daran, anderen wehzutun, mit Leidenschaft oder gar Liebe verwechseltet, | ||
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+ | Die Erinnerungen daran werde ich in mir tragen müssen, mein Leben lang. Und es wird noch einer langer Weg sein, bis ich zumindest mir selbst verzeihen kann, dass ich zuließ, dass ihr mich dafür benutzt. Dass ich mich nicht früher und entschiedener dagegen gewehrt habe. | ||
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+ | Und dennoch kann und will ich dich nicht hassen. Ich wünsche dir und mir von ganzem Herzen, dass wir beide es eines Tages schaffen, das Loch in unserer Seele zu füllen und uns selbst zu lieben - damit wir dazu fähig werden, andere zu lieben, ohne sie mit unserer Liebe zu verbrennen. | ||
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- | Doch der Satz ließ mich nicht los. "Ich - ein Künstler?! So ein Quatsch!" | + | </ |
- | Ich klammerte mich an dieses Gefühl wie ein Ertrinkender auf hoher See an ein Stück Treibholz. Ich verliebte mich in die Vorstellung durch die Innenstädte des Landes zu ziehen und den Menschen vorzusingen, um damit gerade genug Geld zu sammeln, dass ich mir etwas zu essen leisten und vielleicht alle paar Tage eine Nacht in einem Hotel verbringen kann, um zu duschen. Die Vorstellung, | + | ===== Epilog: Nicht das Ende, der Anfang einer Reise ===== |
- | Beides- diese Wut, gepaart mit dem Wunsch nach Flucht, Aufbruch und Neuanfang - verarbeitete ich in meinem nächsten Song mit dem passenden Namen "Na und?" |