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Forschungsstand

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Zitate

Report 29

Während eines Seminars zur Politischen Bildung beschrieb ein Auszubildender sein Befinden: „Ich komme mir vor wie auf einem Karussell, was immer schneller wird und nicht anhalten will. Mir fehlt der Halt, und ich habe keinen Boden mehr unter den Füßen. Ich weiß nicht, womit ich mich identifizieren soll. Irgendwo ist man ohne Orientierung, ohne Ziel und ohne Sinn. Wer weiß, wann das Karussell abstürzen wird?“ Was kann nun pädagogische Arbeit in Bildungseinrichtungen oder Gemeinden leisten, um die Kluft zwischen den Menschen nicht noch tiefer werden zu lassen? Maaz: Die Schilderung des jungen Mannes, den Sie zitieren, macht auf etwas aufmerksam, was ich für das wesentliche Problem halte: die momentane Orientierungslosigkeit oder den Verlust an Orientierung, vor allen Dingen den Verlust an Werten und damit auch an Identität. Das, was unser Leben bestimmt hat, im Guten wie im Schlechten, erscheint verloren, es stimmt nicht mehr, und das erzeugt eine große Unsicherheit. Report 29, S. 13

die innerseelische Problematik braucht dringend Beachtung. Hier liegt ein deutliches Problem: Wir müssen auf der Sachebene viel dazulernen, doch von uns will niemand etwas lernen. Das ist eine neue Kränkung. Alles, was wir gelernt haben, was wir wissen, was zu unserer Lebenserfahrung gehört, taugt nichts mehr. Es wird uns nicht abverlangt. Das hat natürlich etwas mit den politischen Hintergründen der Vereinigung zu tun. Uns wird gesagt: Ihr habt unsere Erfahrung zu übernehmen! Ich denke, eine alte Nötigung darf nicht durch eine neue ersetzt werden. Das bringt Widerstand, Abwehrhaltung, Nörgeln und Pessimistisch-Sein hervor. Dabei ginge es doch darum, daß sich innerlich etwas verändern könnte, daß wir uns endlich aus der erfahrenen Einengung, aus der erlittenen Demütigung herausarbeiten im Sinne einer heilenden Erfahrung. Dafür brauchen wir Raum, um neue Erfahrungen aus uns selbst heraus wagen zu können. Wir können Eure Erfahrungen nicht einfach übernehmen, denn diese Einstellungen und Haltungen sind über 40 Jahre im Westen gereift, nicht bei uns. Selbst wenn alles Westliche gut wäre – was ja so nicht stimmt –, selbst dann wäre es für uns nicht gut, weil wir aus einer anderen Sozialisation stammen. Report 29, S. 14

Nun kommt hinzu, daß nicht alles, was an westlicher Lebensart auf uns zukommt, gut wäre, es existieren ja in der Marktwirtschaft auch viele Probleme. Weil wir von außen kommen, können wir die Probleme deutlicher sehen, dadurch gibt es auch eine ganz verständliche Abwehrhaltung. Bis jetzt ist für mich noch nicht erkennbar, daß diese Probleme ernsthaft diskutiert würden. Es wird zwar so getan. Man sagt uns: Ihr habt jetzt bessere politische Verhältnisse, Ihr bekommt jetzt viel Geld, also seid doch froh und glücklich! Doch das funktioniert so nicht. Diese Haltung geht an den seelischen Bedürfnissen vorbei. Report 29, S. 14

Maaz: Es wurde ja hinreichend deutlich, daß politische und ökonomische Veränderungen nicht genügen. Das Problem der deutschen Wiedervereinigung wird dadurch nicht gelöst. Es muß auch eine psychologische Veränderung geben. Wenn allerdings die Aufforderung zur Veränderung nur an eine Hälfte des Volkes gerichtet bleibt, schafft dies neue Ungerechtigkeiten. Es entsteht eine Zwei-Klassen-Gesellschaft mit neuer Kränkung und Demütigung. Das schafft verständliche Abwehr und Protesthaltungen. Für ein wirkliches Zusammenwachsen ist aber Veränderung auf beiden Seiten nötig. Auch der Westen kann sich von uns sagen lassen, was uns an seiner Lebensweise nicht gefällt, worin wir uns Veränderungen und Entwicklungen wünschen. Diese Gleichheit der Wünsche und Bedürfnisse, aber auch die Ungleichheit der Bedürfnisse muß akzeptiert werden. Wir sollten diese unterschiedlichen Bedürfnisse als verschieden wahrnehmen, aber gleichwertig behandeln. Report 29, S. 15

Sehen Sie, ein Leben lang haben wir erfahren, daß man bewertet wird in allem, was man sagte. Wenn man abwich von der Meinung der Mächtigen, dann bekam man zu hören und zu fühlen: Du bist nicht in Ordnung, du bist falsch, du bist ein Feind! Nicht nur Beschämung, sondern auch Bedrohung war die Folge, und deshalb gibt es eine tiefsitzende Scheu. […] Wird Sinn von außen gegeben, oder hat Sinn etwas mit einem inneren Zustand zu tun? In der ehemaligen DDR wurde äußerer Sinn vorgegeben, Sinn wurde verordnet. Diese Gefahr besteht jetzt allerdings wieder, daß Sinn von außen verordnet wird oder daß die Menschen in der alten Haltung verharren, sich Sinn geben lassen zu wollen. Deshalb haben die Sekten auch bei uns Erfolg. Die Menschen wollen sich Sinn geben lassen, weil sie es so gewohnt sind. Die Umstellung, aus sich selbst heraus Sinn zu finden und Sinn zu erfahren, ist ein längerer und anstrengender Prozeß. Nun kommt erschwerend hinzu, daß in der ehemaligen DDR Sinnerfahrung nicht mit Liebe, Annahme, Zuwendung begleitet, sondern grundsätzlich behindert wurde. Das löste nicht nur Angst, sondern auch Empörung, Wut, Zorn und Protest über die erlebte Einengung aus. Dieser Zorn konnte wiederum nirgendwo gelebt werden. Hätte er sich ausgedrückt, so wäre man abermals beschämt worden, d.h., es ist viel berechtigte Aggressivität in den Menschen angehäuft. Der totale Sicherheitsstaat hielt dieses Aggressionspotential ständig unter Kontrolle. Nun fehlt der Deckel des Sicherheitsstaates, die Labilisierung und die reale Existenzbedrohung durch Arbeitslosigkeit und Lehrstellenmangel kommen zusammen. Da kann unter bestimmten Umständen aus dem berechtigten Aggressionspotential ein überschießendes, destruktives Gewaltpotential entstehen. […] Das bedeutet, es handelt sich um Menschen, die selbst Opfer von Gewalt wurden und nun unter innerem Druck selbst dazu fähig sind, Gewalt auszuüben. Wenn man es auch versteht, so muß man es nicht entschuldigen. Ich möchte nur sagen, daß die Gewaltszene ein Symptom der sozialen Verhältnisse ist. Ich möchte auch verhindern, daß einzelne wenige zu Bösewichten abgestempelt werden, weil sie ein Symptom austragen, das weitverbreitet in unserer Gesellschaft vorhanden ist. Bildungsarbeit sollte die Zusammenhänge beachten und Wege der konstruktiven Bearbeitung suchen und begleiten. Report 29, S. 15f

Was mich aber wirklich beunruhigt, daß der Vereinigungsprozeß vornehmlich als wirtschaftlicher Prozeß verstanden wird. Wenn man nur etwas weiter denkt, muß man sich fragen: Wenn nun das Wirtschaftswunder Ost gelänge, dann bekämen wir ja Anschluß an eine expansive Wohlstands- und Wirtschaftspolitik und Ideologie, wie sie im Westen herrscht. Mit diesem Wachstums- und Wohlstandsverhalten ist ja eine zunehmende ökologische Belastung dieser Welt und die zunehmende soziale Ungerechtigkeit zwischen Nord und Süd verbunden. Ich habe die schreckliche Vision, wenn es gelingt, wie das Modell Deutschland zur Zeit wirtschaftlich und politisch gedacht ist, dann brauchen wir im Osten wie im Süden eine riesige Mauer, um uns vor den Völkerwanderungen zu schützen, die dann auf uns zukommen mit dem gleichen Recht, so leben zu wollen wie wir auch. Das ist für mich ein solch ernster Gedanke, daß ich von daher diese moralische Pflicht ableite: Wir müssen uns Gedanken machen über eine neue Gesellschaftskonzeption, über neue Werte! Statt größeren Wohlstand und Wirtschaftswachstum gibt es für mich die entscheidende Alternative der Humanisierung der Beziehungen. Das bleibt für mich ein Gegensatz. Das eine ist mit dem anderen nicht zu haben. Je mehr Konkurrenz und Leistungsgesellschaft, desto mehr werden die Beziehungen gestört. Diese Diskussion muß, denke ich, dringend geführt werden, auch wegen der globalen Bedrohung. Gerade durch die Vereinigung gerät dieser Konflikt stärker ins Blickfeld. Wir fordern den Anschluß an das Wirtschaftsimperium; mit welchem Recht will man die anderen Völker ausschließen? Und daß alle in solch einem Überfluß leben können, wie wir es tun und nun auch wollen, das ist ein Unding. Das macht diese Welt kaputt. Report 29, S. 16f


Natürlich stehen unter veränderten sozialen Bedingungen für Bildung sehr tiefgehende Fragen obenan:

  • Was können Weiterbildungsangebote für die Veränderung der gesamten Persönlichkeit

des erwachsenen mündigen Bürgers bewirken?

  • Soll sich der Anspruch der Erwachsenenbildung auf ein rasches Anheben der professionellen Bildung, die marktwirtschaftlichen Erfordernissen gerecht wird, beschränken, oder kann Erwachsenenbildung mithelfen, neue persönliche Standortezu finden, die veränderte Lebenspläne möglich machen und dem Subjekt helfen, sie für sich selbst überzeugend zu begründen?
  • Ist die Vorstellung vom politisch mündigen Bürger, der vielseitig interessiert und engagiert ist, der sich bilden will und dem durch Erwachsenenbildung Anregungen gegeben werden, zu hoch gegriffen angesichts noch verbreiteter Unsicherheit der sozialen Existenz?
  • Hat Erwachsenenbildung gerade in einer Zeit des Verlustes bisheriger scheinbar stabiler sozialer Sicherheit und der Neuorientierung im Alltag eine beratende, quasi therapeutische Funktion im Sinne von Lebenshilfe, oder wird sie ihr nur zugemutet, weil andere Institutionen nicht genügend wirksam werden?

Report 29, S. 18f

Zur Lebenserfahrung der meisten Arbeitnehmer, die gegenwärtig vor der Aufgabe stehen, sich zu qualifizieren, einen neuen Beruf zu erlernen oder ihre beruflichen Kenntnisse wesentlich zu erweitern, gehört, daß Weiterbildung in der DDR zu einem beachtlichen Anteil an die Betriebe gebunden war. Das Lernen Erwachsener war eng mit dem Lernort Betrieb verbunden. Die berufliche Qualifizierung fand überwiegend in betrieblichen Weiterbildungseinrichtungen statt – Betriebsschulen, Betriebs- und Kombinatsakademien –, die praktische Ausbildung an betrieblichen Arbeitsplätzen. Häufig wurden dafür die Lehrräume, technischen Ausrüstungen und das Lehrpersonal genutzt, das in den der Lehrlingsausbildung dienenden Betriebsberufsschulen vorhanden war. Report 29, S. 19f

Durch diese Weiterbildungsorganisation sind zwar verbreitet umfangreiche Erfahrungen mit Weiterbildung von den Beschäftigten im Arbeitsleben gesammelt worden, doch waren sie sehr stark als vorgegebene Auflage oder als Maßnahme, zu der die Teilnehmer delegiert wurden, angelegt. Das eigene Bemühen um Weiterbildungsmöglichkeiten, das bewußte Analysieren eigener Stärken und Schwächen in der Arbeit sowie der Trends auf dem Arbeitsmarkt, um daraus selbst Weiterbildungsaktivitäten zu entwickeln, konnte in der Vergangenheit kaum erlernt werden. Report 29, S. 20

Die gegenwärtigen Probleme beim Neuaufbau der Weiterbildung sind auch dadurch bedingt, daß die gewohnten Weiterbildungsinstitutionen nicht mehr bestehen, daß neue Bildungsanbieter auf dem nun entstandenen Bildungsmarkt auftauchen, daß um neue Inhalte noch gerungen wird oder neue Angebote dem potentiellen Nutzer wenig transparent erscheinen. Report 29, S. 20

Report 33

mit Weiterbildung beschäftigt. Der Reigen der „neuen“ landespolitischen Beschäftigung mit Weiterbildung wurde 1984 von Baden-Württemberg eröffnet, indem dort ein pluralistisch besetztes Sachverständigengremium ein umfängliches Gutachten zur Entwicklung der Weiterbildung des Landes verabschiedete. Es gab Anlaß zu vielfältigen Kommentaren und Analysen, da es sowohl in der inhaltlichen Akzentuierung von Weiterbildung (starker Berufsbezug) als auch in der Beschreibung der Rolle des Staates gegenüber der Weiterbildung (Betonung des Marktes, Reduktion des Subsidiaritätsbegriffes) deutlich andere Akzente setzte als die weiterbildungspolitischen Initiativen der 70er Jahre etwa in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Niedersachsen und Bremen. Report 33, S. 13

Allerdings ist feststellbar, daß das Verhältnis von Land und Kommunen sich in praktisch allen Bundesländern verändert. Man kann zwar nicht generell sagen, daß die Kommunen immer weniger Geld für die Weiterbildung ausgeben, aber es sind doch Tendenzen einer Strukturverschiebung vorhanden. Länder und Kommunen zusammengenommen, kann nicht von Auf- und Ausbau öffentlich geförderter Weiterbildung gesprochen werden, sondern eher von Stagnation. Report 33, S. 14

In einem insgesamt expandierenden Markt der Weiterbildung scheint die öffentlich geförderte Weiterbildung einen nicht absolut, aber relativ benennbaren Bedeutungsverlust zu erleiden. […] Es ließe sich daraus die These ableiten, daß eine Tendenz besteht weg von einer staatlicherseits subsidiären Förderung pluraler Strukturen hin zu staatlichem Support von marktfähigen Bildungsunternehmen. Es scheint weniger darum zu gehen, daß öffentliche Weiterbildungseinrichtungen von privaten verdrängt werden, als vielmehr darum, daß das Prinzip der öffentlich geförderten Weiterbildung von dem der privat organisierten Weiterbildung verdrängt wird. Report 33, S. 15

Deutlich sind aber auch kritische Stimmen dahingehend, daß in der Vergangenheit eine inhaltliche Diskussion des gesellschaftlichen Auftrages der Weiterbildung im öffentlichen Bereich nur noch schwach geführt wurde und daß vor allem eine Reflexion über die Bedeutung des rapiden gesellschaftlichen Wandels (veränderte Milieus, Isolation und Individualisierung) nicht ausreichend erfolgt ist. Report 33, S. 15

Auch zur Frage der Finanzierung läßt sich zunächst kein eindeutiges Bild erkennen; in einigen Bundesländern wird Weiterbildung, was die Landesebene angeht, eher stärker finanziert, in einigen Bundesländern eingefroren, in einigen Bundesländern zurückgenommen. Einheitlich sind die Aussagen dahingehend, daß Weiterbildung keine offensive und expansive öffentliche Förderung erfährt, in einem der Beiträge heißt es dazu, daß die derzeitige Bildungspolitik eine Verteidigungspolitik ist. Wichtiger als die Höhe der öffentlichen Mittel für die Weiterbildung scheint die Struktur ihrer Vergabe zu sein; Fragen wie die, ob eher das Land oder die Kommunen zahlen, oder die, welche Landesressorts für welche Anteile von Bildungsgeldern verantwortlich sind, sind derzeit bedeutsamer als Fragen zur möglichen Steigerung von Mitteln. Vergleichsgrößen der Finanzierung werden nicht genannt oder nur in globalen Aussagen (etwa die, daß Nordrhein-Westfalen ebenso viel Geld für die Weiterbildung ausgibt wie alle anderen Bundesländer zusammen), dies hat aber auch gute Gründe: Vergleiche der Finanzierung von Weiterbildung zwischen den Bundesländern geben zwar grobe Anhaltspunkte, in der Regel aber noch kein klares Bild. Die jeweiligen Rahmenbedingungen (etwa die Zahl und Größe anderer Weiterbildungsanbieter, die Betriebsstruktur, die regionale Dichte), Fragen der Art und Qualität der Bildungseinrichtungen, der Bevölkerungsstruktur, der regionalen Versorgung sind damit noch nicht angesprochen. Die in einigen Beiträgen genannten Pro-Kopf-Ausgaben für Weiterbildung sind daher schwer miteinander zu vergleichen, vor allem auch dann, wenn man weitere Finanzquellen unterschiedlichster Art miteinbezieht. Report 33, S. 15f

In einigen Beiträgen, insbesondere in den kommentierenden, wird über die spezifische Problematik eines festgelegten Kreises von anerkannten Einrichtungen gesprochen („Closed shop“), in anderen die Notwendigkeit einer Qualitätssicherung durch kontinuierlich und professionell arbeitende Einrichtungen hervorgehoben. Report 33, S. 16

Erkennbar wird in vielen Beiträgen auch der Zusammenhang der strukturpolitischen Komponente von Weiterbildung mit der regionalen und wirtschaftlichen Struktur des Bundeslandes. In der plastischen Beschreibung der brandenburgischen „Tortenstruktur“ ist auch erkennbar, wie Weiterbildung in eine regionale Standortpolitik einbezogen werden kann. Die Assoziation von Weiterbildungspolitik zur regionalen Strukturpolitik liegt heute näher als diejenige zu einer regionalen „Grundversorgung“, wie sie noch in den 70er Jahren mit konzentriertem Blick auf das jeweilige Bildungssystem formuliert worden ist. Report 33, S. 17

Die vorliegende Momentaufnahme zur Weiterbildung in den Bundesländern macht deutlich, daß es einer weiteren Forschungs- und Entwicklungsarbeit vor allem zu folgenden Fragen bedarf:

  • In welcher Weise verschiebt sich die Förderungs-Struktur von Weiterbildung innerhalb des Bereichs öffentlicher Instanzen (Europa, Bund, Länder und Kommunen)?
  • In welcher Weise verschiebt sich das öffentliche Augenmerk von einer wie immer definierten „Grundversorgung“ hin auf eine zu schaffende „Supportstruktur“?
  • In welchem Verhältnis stehen öffentlich geförderte, getragene und bezuschußteEinrichtungen zu der wachsenden Zahl und Größe privater und betrieblicher Bildungseinrichtungen?
  • Was bedeutet die engere Sicht von Weiterbildung im Kontext regionaler Produktivitätsstrukturen (und weg vom Kontext Schule und Hochschule) für die Entwicklung von Weiterbildung als einer „vierten Säule des Bildungsbereiches“?
  • Wie läßt sich eine halbwegs realistische Analyse von Finanzierungsstrukturen in der Weiterbildung erstellen?

Report 33, S. 17f

Berlin

Um dies zu verhindern, wird derzeit in Berlin nochmals der Versuch unternommen, ein Weiterbildungsgesetz zu schaffen. Die Verabschiedung des Brandenburger Gesetzes – wenngleich materiell völlig unzureichend – könnte hierfür ein wichtiger Impuls sein. Klar ist, daß mehr als die Festschreibung der Weiterbildung als staatliche Pflichtaufgabe und die Absicherung des materiellen Status quo derzeit nicht zu erreichen sein dürfte. Doch auch dies wäre unter den gegebenen eisernen Sparzwängen schon ein Gewinn. Report 33, S. 38

Die freien Träger hatten nicht nur im Zeichen der Vereinigung der Stadt in den Jahren 1990/91 mit teilweise drastischen Belegungsrückgängen zu kämpfen, die inzwischen erfreulicherweise aufgefangen werden konnten. Sie geraten angesichts der dramatischen Berliner Haushaltssituation auch in größte finanzielle Probleme, da die Zuwendungen der Stadt regelmäßig gekürzt werden müssen. Report 33, S. 38

Ein Berliner Weiterbildungsgesetz wäre aber auch mit Blick auf die angestrebte Ländervereinigung Berlin-Brandenburg wünschenswert. Während Berlin einen doppelt so hohen Weiterbildungsversorgungsgrad hat wie Brandenburg, dessen Weiterbildung sich ja noch im Aufbau befindet, hat es noch immer keine gesetzliche Absicherung dieses Bildungsbereichs als staatliche Pflichtaufgabe. Dagegen ist in Brandenburg das Recht auf Weiterbildung in die Verfassung aufgenommen und seit Anfang des Jahres 1994 auch gesetzlich geregelt. Hiervon könnte ein wichtiger Impuls auch für Berlin ausgehen. Report 33, S. 39

Brandenburg

Die Verpflichtung zur Grundversorgung ist einerseits durch die Flächenstruktur des Landes Brandenburg begründet, das bei einer Größe von ca. 30.000 qkm von rund 2,6 Millionen Menschen bewohnt wird. Bis Ende des Jahres 1993 war der Trend zur Konzentration der Weiterbildungsaktivitäten auf den städtischen Bereich ausgeprägt. Zum anderen wurde das Weiterbildungsgesetz parallel zur Gebietsreform und den damit verbundenen Konsequenzen der Funktionalreform diskutiert. Insbesondere Weiterbildungseinrichtungen in kommunaler Trägerschaft fürchteten ohne eine gesetzliche Verpflichtung der Kreise und kreisfreien Städte zur Grundversorgung um ihren Bestand.

Aus fachpolitischer Sicht bewegt sich der zunächst vereinbarte, per Rechtsverordnung zu fixierende Schlüssel zur Grundversorgung auf minimaler Ebene und charakterisiert die gesetzliche Regelung als ,Einstiegslösung‘: Gemäß Kabinettsbeschluß vom April 1993 beläuft sich der Schlüssel für die Grundversorgung in den Jahren 1994 und 1995 zunächst auf 2.400 Stunden je 40.000 Einwohner und steigt 1996 auf die Relation 2.400 zu 30.000. Der Grundversorgungsschlüssel beschreibt den Umfang der den kommunalen Gebietskörperschaften übertragenen pflichtigen Selbstverwaltungsaufgabe und den Förderumfang durch das Land. Es wird davon ausgegangen, daß Kreise und kreisfreie Städte in eigener Verantwortung ein darüber hinausgehendes, bedarfsorientiertes Weiterbildungsangebot vorhalten. Die Akquisition zusätzlicher Mittel ist möglich und sicher notwendig. Report 33, S. 45

§ 5 legt in Abs. 1 des Gesetzes fest, daß Kreise und kreisfreie Städte bei der Durchführung der Grundversorgung die Trägervielfalt berücksichtigen müssen. Die kommunalen Gebietskörperschaften sind in ihrer Entscheidung über die Trägerkonstellationen, die die Grundversorgung in ihrem Gebiet sichern, frei. Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung das Bekenntnis der Verfassung zur Pluralität der Träger konsequent umgesetzt und damit eine für die Bundesrepublik völlig neue Regelung geschaffen. Weiterbildungsinteressentinnen und -interessenten nach den Erfahrungen des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems reale Wahlmöglichkeiten zwischen Angeboten unterschiedlicher Träger zu garantieren, war für diese Entscheidung ausschlaggebend. Report 33, S. 46

Vom Land anerkannte Einrichtungen der Weiterbildung sind per Gesetz zur Mitarbeit in einem Regionalen Weiterbildungsbeirat verpflichtet. Die Konzeption der Regionalen Weiterbildungsbeiräte geht davon aus, daß gemeinsames, aufeinander abgestimmtes Handeln erfolgversprechender und leistungswirksamer ist als isoliertes Handeln. Das Zusammenwirken der im Kreisgebiet tätigen Einrichtungen der Weiterbildung soll im Interesse der Bildungsadressaten erfolgen, die auch bei begrenzten Rahmenbedingungen unter einem möglichst breiten und qualitativ zufriedenstellenden Angebot sollen wählen können. Report 33, S. 46

Zur Förderung der Weiterbildung auf der Grundlage des Gesetzes stehen zunächst rund 6,2 Millionen DM jährlich zur Verfügung; vom Jahre 1996 an erhöht sich die Gesamtfördersumme auf ca. 8,3 Millionen DM.

Das ist angesichts der in den Haushalten anderer Bundesländer eingestellten Mittel vergleichsweise bescheiden. Pro Kopf der Bevölkerung wird die Weiterbildung auf gesetzlicher Grundlage mit 2,39 DM gefördert. Den Einrichtungen und Trägern wird viel organisatorisches Geschick abverlangt. Zusätzliche Mittelbeschaffung wird die Regel sein. Doch darf bei aller Kritik im Land nicht vergessen werden, daß die Verfassung neben dem Land auch die Gemeinden und Gemeindeverbände mit der Förderung der Weiterbildung beauftragt. Zudem sind Weiterbildungsmittel in teilweise erheblichem Umfang auch in anderen Ressorts eingestellt; erwähnt seien beispielhaft die Bereiche der beruflichen Weiterbildung oder der Landeszentrale für politische Bildung.

Das Gesetz stellt in § 27 die Förderung unter den üblichen Haushaltsvorbehalt und verweist in Abs. 4 auf die Festlegung der Einzelregelungen in einer Rechtsverordnung. Diese befindet sich z.Zt. in Abstimmungsprozessen, so daß an dieser Stelle lediglich Eckpunkte zu benennen sind. Report 33, S. 47

1.5.2 Sonstige Förderung nach § 27 Zur Förderung anerkannter Heimbildungsstätten, anerkannter Landesorganisationen und Modellvorhaben mit aktueller Schwerpunktsetzung stehen insgesamt Mittel in Höhe von 1,3 Millionen DM in den Jahren 1994 und 1995 zur Verfügung. Die Rechtsverordnung, die exakte Richtlinien der Förderung beinhaltet, ist in der ersten Jahreshälfte 1994 zu erwarten. Im Vorfeld wurden die Eckpunkte der Modalitäten der Förderung mit Vertretern der kommunalen und freien Träger intensiv diskutiert. Anerkannte Landesorganisationen und Heimbildungsstätten sollen leistungsgebundene Projektförderung für Personal- und Sachkosten erhalten.

Die Förderung von Modellvorhaben mit aktueller Schwerpunktsetzung richtet sich ebenfalls nach den Bestimmungen der Rechtsverordnung. Auch Einrichtungen, die nach dem Brandenburgischen Weiterbildungsgesetz nicht anerkannt sind, können diese Förderung beantragen.

Generell gilt die Trennung von Anerkennung und Förderung. Report 33, S. 39

Mit dem Brandenburgischen Weiterbildungsgesetz bekennt sich das Land zur öffentlichen Verantwortung für die Weiterbildung. Es bekräftigt den Stellenwert der Weiterbildung von Erwachsenen als eines selbständigen Bildungsbereichs und regelt die staatliche Förderungspraxis. Mit zunehmender Stabilisierung des Haushalts und der Wirtschaft sind Nachbesserungen im finanziellen Bereich wünschenswert. Report 33, S. 49

Das Land Brandenburg ist gekennzeichnet durch eine geringe Bevölkerungszahl bei zugleich großer flächenmäßiger Ausdehnung. Knapp 2,6 Mio. Menschen leben auf einer Fläche von ca. 30.000 qkm; große Teile des Landes – beispielsweise die Uckermark oder die Prignitz – sind als strukturschwache ländliche Räume zu betrachten. Um die Wirtschaftskraft in den attraktiven Ansiedlungsräumen des sogenannten Speckgürtels um Berlin auch in die entfernteren Winkel des Landes ausstrahlen zu lassen, wurde das Land wie eine Torte mit Berlin in der Mitte in fünf große Wirtschaftszonen eingeteilt. Die neuen Großkreise fügen sich weitgehend in diese Struktur, so daß in ihnen Regionen mit unterschiedlicher Besiedlungsdichte und unterschiedlicher Wirtschaftskraft vereint sind. Mittels des Konzeptes der dezentralen Konzentration sollen wirtschaftsstarke Regionen auch fern der Hauptstadt gefördert werden. Die Umstrukturierung der bisher 38 Landkreise und 6 kreisfreien Städte in 14 Großkreise und 4 kreisfreie Städte betrifft insbesondere die Volkshochschulen. Für sie ergibt sich die Notwendigkeit, die Frage der Trägerschaft durch Kommune, Kreis oder z.B. auch einen Zweckverband zu klären. Mehrere ehemals selbständige Volkshochschulen werden zusammengefaßt: Nur eine Einrichtung bleibt als Hauptstelle bestehen, die anderen werden zu Nebenstellen. Dieser Prozeß verläuft verständlicherweise nicht ohne Konflikte. Kürzungen des hauptberuflichen Personals, eine Konzentration in der neuen Kreisstadt und eine geringere Bürgernähe werden befürchtet. Report 33, S. 50

Im Land Brandenburg hat sich in den vergangenen vier Jahren eine vielgestaltige, aber noch längst nicht überschaubare oder gar festgefügte Weiterbildungslandschaft entwickelt. Sie setzt sich zusammen aus den Volkshochschulen und Heimbildungsstätten, den Einrichtungen der Urania und der Ländlichen Erwachsenenbildung (LEB), der Gewerkschaften wie der Arbeitgeberseite und einer Vielzahl anderer freier Träger. Das Spektrum der Weiterbildungsangebote ist bei den klassischen Volkshochschulprogrammen sehr breit, in der beruflichen Weiterbildung gibt es eine starke Spezialisierung, die freien Träger haben unterschiedliche Schwerpunkte in der politischen und kulturellen, der wissenschaftlichen und der allgemeinen Weiterbildung. Zahlreiche Projekte arbeiten im ökologischen, kulturellen, Frauen- und Selbsthilfebereich; sie haben neue Erwerbsmöglichkeiten geschaffen und sind sich oft gar nicht bewußt, daß ihre Arbeit Weiterbildungsarbeit ist.

Insbesondere Angebote der politischen Weiterbildung erfordern nicht nur Fingerspitzengefühl, sondern auch besondere Anstrengungen bei der Weckung des Interesses. Die Bereitschaft, sich auf politische Themen, auf eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Veränderungen einzulassen und sich in der Folge auch einzumischen, ist wie in den anderen jungen Bundesländern sehr gering. Report 33, S. 51

Zusammenschlüsse der Einrichtungen zur Vertretung ihrer Interessen existieren auf Landesebene in Form des Brandenburgischen Volkshochschulverbandes, der Landesarbeitsgemeinschaft politische Bildung (LAG) und der Interessengemeinschaft soziokulturelle Bildung. Die Weiterbildungseinrichtungen der Kirchen, der Gewerkschaften, der Unternehmen und Kammern, die Ländliche Erwachsenenbildung, die Urania und andere werden von ihren Landesverbänden, häufig noch von Berlin aus, vertreten. Im Zuge der Umsetzung des Weiterbildungsgesetzes in die Praxis werden die einzelnen Einrichtungen und Träger jeweils für ihren Wirkungsbereich eine starke Interessenvertretung im Land Brandenburg aufbauen und sich zu handlungs- und anerkennungsfähigen Landesorganisationen zusammenschließen müssen. Report 33, S. 51

Die Schwierigkeiten vieler Weiterbildungseinrichtungen, auf ihre Angebote eine ausreichende Resonanz zu finden, entstehen nicht nur durch eine Skepsis z.B. gegenüber neuen Inhalten von Weiterbildung, sondern auch durch die Frage, wozu Weiterbildung dienen kann, wenn sie doch nicht zu einem Arbeitsplatz führt. Die Bedeutung von Weiterbildung darf daher nicht nur durch ihre Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt bestimmt werden, wodurch außerdem zahlreiche Personengruppen ausgeschlossen würden. Die Aufgabe von Weiterbildung liegt auch darin, Menschen unabhängig von Erwerbsarbeit zur Lebensgestaltung und Teilhabe an der Gesellschaft zu befähigen. Besonders deutlich zeigt sich die Notwendigkeit eines Umdenkens, wenn es um die Frage geht, was Weiterbildung in den ländlichen Gebieten Brandenburgs bewirken kann. Zwei Drittel der Bevölkerung des Landes wohnen in Kleinstädten und Dörfern. Der Zusammenbruch der ländlichen Produktionsstrukturen hat zu einer drastischen Reduzierung der 1989 noch 180.000 Arbeitsplätze auf gegenwärtig ca. 39.000 geführt. Die Kompensation dieses Arbeitsplatzabbaus durch den Aufbau anderer Wirtschaftszweige ist äußerst schwierig und nur langfristig zu lösen. Report 33, S. 52

Kooperationen zu schaffen ist eine vordringliche Aufgabe für die Akteure der Weiterbildung in Brandenburg – nicht nur aus Gründen der vom Weiterbildungsgesetz vorgegebenen Strukturen. Weiterbildung muß ihre Themen aus der regionalen Situation entwickeln: Berufliche Weiterbildung muß auf regional sinnvolle und zukunftsträchtige Berufsfelder vorbereiten, Angebote der übrigen Bereiche der Weiterbildung müssen sich am Bedarf, an den Interessen der dortigen Bevölkerung und an den regionalspezifischen Themen orientieren. Weiterbildung muß insbesondere in schwach strukturierten ländlichen Gebieten zur regionalen Entwicklung beitragen. Die besonderen Bedingungen, z.B. weite Wege und kleine Zielgruppen, erfordern andere Arbeitsweisen in Projekten und Kooperationen. Für die Weiterbildungseinrichtungen bedeutet dies, sie müssen sich – im eigenen Interesse – füreinander öffnen und dürfen nicht aus inhaltlichen und materiellen Gründen auf einer Abgrenzung bestehen. In den regionalen Weiterbildungsbeiräten, die in jedem Kreis zu bilden sind, werden alle anerkannten Weiterbildungseinrichtungen des Kreises versammelt sein. Mit der Verteilung finanzieller Mittel ist die Analyse des regionalen Bedarfes verbunden. Darüber hinaus ist dieses Gremium nutzbar, um Transparenz über die Einrichtungen und ihre Angebote und damit auch über die vorhandene Konkurrenz herzustellen. Statt ähnlicher Angebote für dieselbe kleine Zielgruppe können Abstimmungen über die Programmgestaltung erfolgen, so daß statt konkurrierender und eventuell ausfallender Angebote wechselseitige Ergänzungen möglich sind.

Aufgrund der Situation der Weiterbildung in Brandenburg ist die Beratung der Einrichtungen zwingend geboten. Träger aus den alten Bundesländern brauchen hier Unterstützung bei der Konzeption von Angeboten und der Einschätzung des Weiterbildungsbedarfs, neugegründete Einrichtungen sind neben dieser Beratung vor allem auf organisatorische Hilfestellungen und Hinweise für Fördermöglichkeiten angewiesen. Das Pädagogische Landesinstitut Brandenburg (PLIB), die Landesagentur für Struktur und Arbeit (LASA) sowie die Landesorganisationen und Verbände sehen in der Bereitstellung dieser Supportstruktur eine ihrer vordringlichsten Aufgaben. Report 33, S. 53

NRW

Die nordrhein-westfälische Verfassung bestimmt in Artikel 17: „Die Erwachsenenbildung ist zu fördern. Als Träger von Einrichtungen der Erwachsenenbildung werden neben Staat, Gemeinden und Gemeindeverbänden auch andere Träger, wie die Kirchen und freien Vereinigungen, anerkannt.“ Für die kommunalen Volkshochschulen „als Stätte(n) der Begegnung auf überparteilicher und überkonfessioneller Grundlage“ übernahm das Land mit dem Volkshochschulgesetz von 1952 einen Teil des Fehlbedarfs, überließ ihnen aber die Programmgestaltung vollständig. Die Struktur der Weiterbildungseinrichtungen wurde durch das „Erste Weiterbildungsgesetz“ des Landes Nordrhein-Westfalen von 1974 neu festgelegt. Dieses Erste Weiterbildungsgesetz fußt auf ausführlichen Diskussionen, die zu einem breiten gesellschaftlichen Konsens geführt haben. Report 33, S. 107

Eine Planungskommission des Kultusministers beschäftigte sich daraufhin vor allem mit den Fragen der Professionalisierung der in der Weiterbildung Tätigen, der Grundversorgung, der Mindestangebote, der nachfrageorientierten Angebotsstruktur und der Ausstattung. In zwei Berichten wurde die Struktur einer vom Land geförderten und gesicherten Weiterbildung beschrieben. Was danach als „staatliche“ Aufgabe angesehen wurde, sollte von den Gemeinden bürgernah wahrgenommen werden; die vielfältigen anderen gesellschaftlichen Kräfte, die aus ihrer Interessenlage heraus an bestimmten Angeboten besonders interessiert waren, sich aber nicht darauf beschränken wollten, sollten mit Landeshilfe, aber eben auch mit eigenen Mitteln leistungsfähige Einrichtungen unterhalten können. Der damals gefundene, breite gesellschaftliche Konsens trägt das System der Weiterbildung in Nordrhein- Westfalen bis heute. Report 33, S. 107

Damit überall im Lande ein umfassendes Weiterbildungsangebot für die Bürger zur Verfügung steht, ist den Gemeinden als kommunale Pflichtaufgabe auferlegt, Volkshochschulen zu unterhalten. Der Mindestumfang des Unterrichtsangebots wird nach der Einwohnerzahl gestaffelt. Die Aufwendungen im Rahmen des Mindestangebotes werden vom Land getragen. Die Kommunen bekommen die Gehaltskosten der Leiter und hauptberuflichen pädagogischen Mitarbeiter, die das Programm planen, und die Honorarkosten für die nebenberuflichen Dozenten und Kursleiter inklusive eines An teils für den Verwaltungsaufwand mit Pauschalbeträgen erstattet. Diese Beträge werden jährlich im Haushaltsgesetz des Landes festgesetzt. Report 33, S. 107f

Damit wird die „Grundversorgung“ in der Weiterbildung „flächendeckend“ bereitgestellt. Überall im Lande sollen Angebote in allen Sachbereichen erreichbar sein; durch eine Mindestausstattung mit Honoraren, Gehältern und Verwaltungskosten soll die Pflicht, eine Volkshochschule zu unterhalten, für die Gemeinden erträglich werden. Immerhin müssen die Gemeinden – abgesehen von den Teilnehmergebühren, die sie einziehen – auch weiterhin noch einen erheblichen Teil der Kosten ihrer Volkshochschule tragen. 137 Volkshochschulen versorgen die Einwohner der 396 Gemeinden Nordrhein-Westfalens; davon sind 52 städtisch, die anderen werden getragen von Zusammenschlüssen (der Kreise, von Zweckverbänden oder aufgrund öffentlich-rechtlicher Vereinbarungen).

Die Einrichtungen in anderer Trägerschaft sind Bildungsstätten der Kirchen und von freien Vereinigungen. Sie rechnen einen Teil ihrer Angebote wie die Volkshochschulen in Unterrichtsstunden und einen anderen in „Teilnehmertagen“ ab, weil Heimvolkshochschulen und Akademien in Internatsbetrieb geführt werden. Die Einrichtungen in anderer Trägerschaft erhalten 60 % der Durchschnittspauschalen, die für Gehälter und Honorare festgesetzt werden. Sie können die Schwerpunkte ihres Programms festlegen, sind also nicht verpflichtet, alle Sachbereiche zu berücksichtigen. 1980 gab es 298 Einrichtungen in anderer Trägerschaft, darunter 126 Familienbildungsstätten und 39 Einrichtungen, die sich ausschließlich der politischen Weiterbildung widmen. In den achtziger Jahren bildeten sich im Zuge des Aufkommens alternativer Bewegungen neue Weiterbildungseinrichtungen, die sich vor allem um die Pflege der Kreativität, des Zusammenlebens und der politischen Diskussion bemühten. 116 Einrichtungen wurden seither neu anerkannt. Nach 1982 ist allerdings die Zahl der Anerkennungen und auch der Anerkennungsanträge rückläufig, weil neugegründete Einrichtungen aufgrund der Finanzlage des Landes zunächst nicht gefördert wurden.

Mit dem neuen Gesetz entwickelten sich die Einrichtungen der Weiterbildung geradezu explosionsartig. Es entstanden leistungsstarke Volkshochschulen, die umfassende Angebote im ganzen Lande und nicht mehr allein in den Ballungsgebieten und Kreisstädten bereithielten; mehr hauptberufliche pädagogische Mitarbeiter entwickelten und koordinierten die Programme, deren Spektren überdies breiter wurden. Noch rasanter als die Gemeinden weiteten die anderen Träger ihr Angebot aus. Schon im zweiten Jahr des Gesetzes erhielten sie höhere Landeszuwendungen als die Volkshochschulen.

Die Zahl des hauptberuflichen pädagogischen Personals schnellte bei den Volkshochschulen von knapp 100 auf 760 und bei den Einrichtungen in anderer Trägerschaft von 350 auf 2.000 hoch. Nach dem alten Volkshochschulgesetz wandte das Land jährlich etwa 20 Mio. DM für die Volkshochschulen auf. 1975 zahlte das Land an Gemeinden und andere Träger bereits 90 Mio. DM und 1981 295 Mio. DM. Im Zuge der restriktiven Haushaltspolitik wurden 1981 Finanzierungsbegrenzungen vorgesehen, so daß die Aufwendungen des Landes auf 185 Mio. DM sanken, aber mittlerweile wieder auf fast 250 Mio. DM gestiegen sind. Davon erhalten die Gemeinden 88 Mio. DM für ihre Volkshochschulen und die anderen Träger 123 Mio. DM für ihre Einrichtungen. Anfang der achtziger Jahre waren die Aufwendungen des Landes Nordrhein-Westfalen mehr als doppelt so hoch wie die aller anderen Bundesländer zusammen. Und selbst nach den Restriktionen wendet Nordrhein-Westfalen weiterhin mehr für die Weiterbildung im eigenen Lande auf als alle anderen Bundesländer zusammen. Es war der Impuls des Landesgesetzes, der die Weiterbildungslandschaft in Nordrhein-Westfalen so schnell verändert hat. Da die Städte und Gemeinden deutlich höhere Landeszuschüsse erhielten, nahmen sie gern die Auflagen der Mindestangebote und der Grundversorgungspflicht in Kauf, aber auch die Verpflichtung, Angebote in allen sieben Sachbereichen anzubieten. Auch die anderen Träger erhielten erhebliche Landeszuschüsse, die sie zum Ausbau ihrer Einrichtungen nutzten.

Report 33, S. 108f


Ein Gütezeichen der Weiterbildung in NRW ist ihre hochentwickelte Pluralität. Es gibt 527 Einrichtungen, davon 137 Volkshochschulen. Entsprechend breit und vielfältig ist das Angebotsspektrum, zumal viele Einrichtungen die Orientierung auf ihre leitenden Norm- und Wertvorstellungen mit Binnenpluralität verbinden. Neben der Meinungs und Themenvielfalt garantiert Pluralität pädagogische Varianz. Report 33, S. 111

Die politischen Bildner/innen haben sich durch ihre Grundlagendiskussionen nicht davon abhalten lassen, die bedeutsamen Themen im Zusammenhang mit den Einigungsprozessen in Deutschland und Europa entschlossen anzupacken. Und sie haben sich in bester aufklärerischer Tradition der Erwachsenenbildung gegen Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus engagiert. Report 33, S. 112

„Die Lastenteilung zwischen Land und Trägern ist nicht im Lot. Der Anteil des Landes an der Weiterbildungsfinanzierung hat sich im Vergleich zu den späten 70er Jahren nahezu halbiert. Entsprechend stiegen die Teilnehmerkosten und die Trägeranteile. Das ist mit Finanznot nicht zu entschuldigen. Für viele Träger ist längst die Schmerzgrenze erreicht. Sie mußten und müssen einschneidende Kürzungsentscheidungen treffen. Soll unser Weiterbildungssystem gefestigt und fortentwickelt werden, sind bei der Lastenverteilung Korrekturen zu Gunsten der Träger dringend erforderlich. Mit der Kostenüberwälzung auf die Veranstaltungsteilnehmerinnen und -teilnehmer muß es ein Ende haben, sonst ist die sozialpolitische Qualität der öffentlich verantworteten Weiterbildung am Ende.“ Report 33, S. 114

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