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offen:projekte:klapsenchroniken2:booklet

„Es sind so Dinge, die man sich in der Rückschau selbst nicht erklären kann. Selbst in diesem Moment, als die Tasse an der Wand hinter mir zerschellte und ich Glück hatte, das die Scherbe, die meine Wange ritzte, nicht zwei Zentimeter weiter oben traf um mir mein Augenlicht zu nehmen, war ich nicht in der Lage, sie als das wahrzunehmen, was sie war: ein gewalttätiger Mensch, der gerade versuchte Körperverletzung begangen hatte.

Ich konnte es mir nach der Beziehung selbst lange nicht verzeihen, das ich in diesem Moment nicht aufgestanden und für immer gegangen bin. Das ich stattdessen sogar auf sie zugegangen bin, versucht habe sie zu beruhigen und mich am Ende sogar selbst dafür entschuldigt habe, sie so aufgeregt zu haben. Wie konnte ich das Offensichtliche nicht sehen, wie konnte ich weiterhin Nähe suchen zu so einem gewalttätigen Menschen?

Naja, zu einem großen Teil lag es daran, dass ich nicht gelernt habe, Aggression, die von weiblichen Menschen ausgeht, als solche zu erkennen und zu benennen. Weibliche Aggression wird in unserer Gesellschaft weitestgehend verharmlost, verniedlicht und bagatellisiert. Würde ich die Geschichte meiner Geschirr werfenden Ex-Freundin jemandem auf der Straße erzählen, kämen da eher so Kommentare wie „Oh, deine Freundin war aber ganz schön tempramentvoll…“ oder „Oh, die war aber heißblütig…“. Kaum jemand käme auf die Idee, zu sagen „Es tut mir leid für dich, dass du mit einer Gewalttäterin zusammen warst!“

Noch fremder, als die Vorstellung, das Gewalt überhaupt von Frauen ausgehen kann, ist uns die Vorstellung, dass der Grund für diese Gewalt in der Gewaltätigkeit der jeweiligen Frau selbst liegen könnte. In unseren Köpfen ist fest verankert: Wenn eine Frau gewalttätig wird, dann weil sie sich wehrt oder weil das (männliche) Ziel der Gewalt diese in irgendeiner Weise 'verdient' habe. Ich hatte diesen Gedanken so sehr verinnerlicht, dass Ich mich am Ende dafür entschuldigt habe, dass Sie mit einer Tasse nach meinem Gesicht geworfen hat.

Ich habe 8 Jahre Beziehung und danach mehrere Jahre Therapie gebraucht, bisich für mich annehmen konnte, dass ich das damals nicht 'verdient' habe. Das Gewalt niemals gerechtfertigt ist. Auch dann nicht, wenn sie von einer Frau ausgeht. Auch dann nicht, wenn ein mutmaßlich 'stärkerer' Mann das Opfer ist.“

/hp/ag/af/zd/www/data/pages/offen/projekte/klapsenchroniken2/booklet.txt · Zuletzt geändert: 2022/05/25 15:01 von benni